Der Weg wurde gefunden
Die großen Gesichtspunkte der deutschen Traberzucht
v. Dr. Josef Pulte
Vor jeder Tradition und Vergangenheit muss man Ehrfurcht und Achtung haben, denn letzten Endes beruhen alle Erfolge der Neuzeit auf der Grundlage, die Generationen vorher dazu gelegt haben. Man weiß gerade in der Pferdezucht, dass man ein Urteil über das, was richtig oder falsch gewesen ist, erst nach einem längeren Zeitraum praktischen Wirkens abgeben kann, da sichtbare Folgen über getroffene Maßnahmen in der Pferdezucht erst spät, frühestens eigentlich erst nach drei Generationen in Erscheinung treten. Diese Erkenntnis rechtfertigt, Geschichte zu treiben, zu schreiben und aus ihr zu erzählen. Und schließlich sind wir Optimisten genug, zu glauben, dass alle, die es angeht, aus der langjährigen Geschichte der Traberzucht und des Trabrennwesens doch dies oder jenes zulernen und ihren Nutzen daraus ziehen.
Es liegt in der Natur der Sache und der Menschen, die nur der Gegenwart leben, dass sie wohl ab und zu an die Zukunft denken, aber nichts für die Vergangenheit übrig haben. Und doch ist die Kenntnis der Vergangenheit so bitter notwendig, denn erst die genaue Kenntnis der Geschichte gibt uns das Können und Wissen und die Möglichkeit, aus dem Wissen zu lernen und für die Zukunft den richtigen Weg in der Traberzucht zu gehen.
Zu Beginn der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts wusste kaum jemand in Deutschland etwas vom Traber und vom Traben. Auch von französischen Trabrennen war nie die Rede, trotzdem damals bereits auf 119 Plätzen in Frankreich Trabrennen stattfanden. Von der damals schon hochentwickelten amerikanischen Traberzucht sprach in Europa kein Mensch. Trotzdem der englische Traber der älteste der Welt ist, wurde sogar in den englischen Sportredaktionen davon wenig oder gar nichts erwähnt. Es mutet das alles merkwürdig an, wenn man weiß, dass aus England, aus Norfolk nämlich das Blut stammt, das der große Stammvater der amerikanischen Traberzucht, Hambletonian 10, von mütterlicher Seite empfing. England war eben die Wiege des Galopp-Vollbluts; der Engländer hatte nur Verständnis für dieses Pferd.
Unmittelbar nach dem Kriege mit Frankreich 1870 machte man in Deutschland die Bekanntschft mit Renntrabern. 1894 wurde in Hamburg-Altona der Hamburger Traber-Club gegründet; in Berlin nahm die Sache 1877 greifbare Gestalt an. In diesem Jahre erfolgte die Gründung des Berliner Traber-Clubs. Zweck dieser Vereinsgründung war: Veranstaltung von Rennen im Trabe, geritten oder ein- und zweispännig gefahren mit Pferden, die in Deutschland geboren sind, ferner Veranstaltung der gleichen Trabrennen für Pferde aller Länder. Die ersten erzielten Erfolge waren so gut, dass man voller Hoffnungen für die Zukunft sein konnte, als alle Rennvereine durch das im Jahre 1881 erfolgte Wettverbot schwer betroffen wurden. 1885 wurde der Berliner Traber-Club liquidiert, dem 1. Vorsitzenden, Tierarzt Friedrich Schäffer, wurde für seine ehrenamtliche Tätigkeit eine goldene Uhr geschenkt, und damit war das erste Kapitel des Trabrennsports zu Ende. Erst Jahre später erfolgte die Neugründung eines Trabrennvereins. Das Wettverbot wurde von Kaiser Wilhelm I. aufgehoben, die Trabrennen begannen von neuem.
Im Jahre 1888 erfolgte ein Zusammenschluss der damals in Deutschland bestehenden Trabrennvereine, um dem noch in den Kinderschuhen stehenden Trabrennsport die notwendige einheitliche Organisation zu geben. In einer technischen Kommission, dem Union-Club angeschlossen, erhielten sie ihre Oberleitung, sie gehorchten gemeinsamen Gesetzen.
Die Traberzucht und der Trabrennsport nehmen dann zwar eine befriedigende Entwicklung, aber von einer Blüte und schnellen Aufwärtsentwicklung konnte keine Rede sein. Das lag daran, weil an maßgeblicher und einflussreicher Stelle immer wieder geltend gemacht wurde, die Trabrennen hätten keinen Zusammenhang mit der Landespferdezucht, sie entbehrten nicht nur jeder züchterischen Grundlage, sondern auch jeder züchterischen Tendenz.
Trotzdem bemühten sich die der Traberseite nahestehenden Kreise, der Traberzucht und dem Rennwesen mehr Auftrieb zu geben. Im Jahre 1888 wurde die Gründung der Trabrenngesellschaft Berlin-Westend beschlossen. In Baden-Baden konstituierte sich das internationale Trabrenn-Komitee. Hier wurde auch die Grundlage für das Preußische Trabrennreglement geschaffen. Die Fundamente für eine deutsche Traberzucht wurden ebenfalls gelegt. Es entstanden in der Folgezeit die Trabergestüte Mariahall in Rheinhessen, Lilienhof bei Ihringen in Baden, das Gestüt der Gebrüder Beermann in Weißensee, die Zucht in Lauvenburg durch Christian Schaurte. In Norddeutschland beteiligten sich die Züchter Hinrich Heitmann, Altengamme, Johannes Busch, Wilhelmsburg, und H. Gerkens, Hamburg. In Bayern waren es Dr. von Lang-Puchhof und Landstallmeister Peter Adam, die sich der Traberzucht besonders annahmen und ihre Entwicklung vorantrieben.
Unter allen diesen Zuchtstätten war das Deutsche Haupt-Trabergestüt Lilienhof unter der Leitung des Grafen Bismarck das bedeutendste; es war bis zum 1. Weltkrieg das Mustergestüt der deutschen Traberzucht.
Im Jahre 1895 wurde das erste Deutsche Traber-Derby gelaufen: Sieger blieb der in Lilienhof gezogene Bambus, der in 1:46,1 gegen Acanthus und Lilie gewann.
1896 war die Herausgabe des Deutschen Traber-Gestütbuchs eine zwingende Notwendigkeit geworden. Der 1. Band war zierlich und umfasste nur 150 Seiten. 174 Stuten mit 218 Fohlen waren eingetragen, im einzelnen 52 Amerikaner, 22 Russen, 17 Deutsche, 6 Franzosen, 5 Österreicher, 3 Engländer, 2 Italiener, 1 Skandinavier – sodann 47 Halbblut- und 19 Vollblutstuten.
In den Jahren seit Erscheinen des 1. Bandes hat sich die Traberzucht in Deutschland trotz vieler Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte, unaufhaltsam entwickelt. Ein schwerer Schlag traf den Rennsport und damit auch den Trabrennsport im Jahre 1894 durch das Verbot der Sonntagsrennen. In kritischer Zeit kam ihm aber durch die Ernennung Viktor von Podbielskis zum Preußischen Landwirtschaftsminister die Erlösung. „Pod“, wie er genannt wurde, war ehemaliger Kommandeur der Rathenower Husaren, ein urwüchsiger und burschikoser Mann, dabei sehr klug, ein trefflicher Skatspieler, ein unüberbietbarer Witzeerzähler und alles in allem persona grata bei Hofe. Er machte das Unmögliche möglich; die Sonntagsrennen kamen zurück, ein Reichsgesetz regelte das Totalisatorwesen. Damit hatte der Rennsport festen Boden unter den Füßen. Die aus dem Totalisator kommenden Mittel schafften ihm eine auskömmliche Existenz zur Wahrung und Förderung seiner Ziele.
Wichtig ist in der Geschichte des Trabrennsports dann noch, den Übergang vom Rekord zum Geldpönalitätensystem zu erwähnen. Bruno Hettwer schreibt darüber: „Die Einführung dieses Systems im Jahre 1912 machte erhebliche Schwierigkeiten und hatte eine schleichende bis zum Kriegsbeginn dauernde Krise im Gefolge. Die obstruierenden Besitzer hörten auf keine Warnung; sie waren zu dumm, um die Folgen ihres Tuns zu übersehen und sägten ruhig weiter den Ast ab, auf dem sie saßen. Die Entwicklung hat aber bewiesen, wie recht die leitenden Stellen hatten, als sie damals trotz aller Krisen entschlossen und zäh an dem neu eingeführten Geldpönalitätensystem festhielten. Großes ist seitdem erreicht worden, was auf dem Sumpfboden des alten Systems niemals gediehen wäre. In der reineren Luft führen eben alle Wege nach oben“.
Nach dem 1. Weltkrieg wurde dann die Oberste Behörde für Traberzucht und –Rennen gebildet. Das Patronat des Union-Clubs entfiel. Züchter, Besitzer, Vereine, Trainer, kamen jetzt zur Geltung. Ein neues Reglement wurde herausgegeben. Leiter der Gestütsverwaltung waren dann nacheinander die Oberlandstallmeister Großcurth, Gatermann, Rau und Seyffert. In der Traberzucht haben sie den Grundsatz vertreten, dass auch der Traber, für den seine Anhänger mit so viel Passion, Überzeugungstreue und Opferwilligkeit eintraten, das Recht auf ein freies Spiel der Kräfte habe.
An sonstigen Organisationen gab es: Die staatliche Traberzuchtkommission, den Deutschen Traberzüchterverein, den Verein Deutscher Trabrennstallbesitzer und Traberzüchter, und den Deutschen Traber-Trainer-Verein.
Wenn in der Entwicklungsgeschichte der Traberzucht unter den vielen Förderern nun noch einige Männer besonders hervorgehoben werden, so sind es Bruno Cassirer, der langjährige Vorsitzende der OBT, der Nachfolger Bruno Burchardt, die beide in ihrem unerschütterlichen Glauben Gewaltiges erreicht haben; ferner Arthur Knauer, ein gottbegnadeter Züchter, der seiner Passion wohl die größten Opfer gebracht hat, sodann Bartholomäus Jacobus Alkemade, dessen Geschick, Unternehmungsgeist, Kenntnissen und Verbindungen die deutsche Traberzucht so viel verdankt, und schließlich Charlie Mills, über den Gutes zu sagen eigentlich absurd klingt. Durch sein einmaliges Können, seinen Fleiß und vor allen Dingen durch seine absolute Zuverlässigkeit und seine Sauberkeit ragt er hervor und bleibt für alle Zeiten eine der tragenden Säulen, wenn man vom Traber in Deutschland spricht.