Bruno Cassirer

geb. 12. Dezember 1872 - gest. 20. Oktober 1941

Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des deutschen Trabrennsports der Vorkriegszeit, Mäzen, Züchter und Besitzer, zählte Bruno Cassirer. Als 1913 der noch junge Trabrennverein Berlin-Mariendorf vor der Pleite stand und am Schluss des Jahres 150.000 Mark Pacht an die Gemeinde schuldig blieb, war es Bruno Cassirer, der die Anteilseigner des Vereins auszahlte, einen neuen Trabrennverein gründete und zum "Chef-Dirigenten" des gesamten deutschen Trabrennsports wurde.

Einzig allein Bruno Cassirer garantierte mit seinen Privatmitteln sämtliche Verpflichtungen des Vereins und sorgte dafür, dass der Trabrennverein Mariendorf über eine eigene Rennbahnanlage verfügte und 1928 als erste und zunächst einzige Trabrennbahn Deutschlands eine Tiefstrahleranlage bekam, die die Bahn unabhängig von den Jahreszeiten machte.

Bruno Cassirer war es auch, der den Berliner Trabrennsport zu einem gesellschaftlichen Wandel verhalf, indem er mehr Industrielle, Kaufleute, Geistesschaffende und auch ehemalige höhere Militärs dem Trabersport zuführte. Bruno Cassirers Bedeutung für den deutschen Trabrennsport ist immens. Er war ohne Zweifel der größte Mäzen Traber-Deutschlands der ersten 30 Jahre des 20. Jahrhunderts.

Es ist überliefert, dass Bruno Cassirer seinen ersten Traber 1899 erworben hat. 1906 durfte er sich über seinen ersten Derby-Sieger freuen (Fidelio), dem 1907 Spinalmont folgte. Als Besitzer gewann Bruno Cassirer insgesamt achtmal das Blaue Band (es folgten Glücksstern 1909, Paprika 1911, Adbell Toddington 1913, Morgenwind 1914, Pech 1915 und Peter I. 1918), elfmal als Besitzer oder Züchter. Die Derby-Sieger Probst 1935, Leo 1938 und Dachs 1939 stammten aus seiner Zucht, liefen aber für fremde Farben, da Bruno Cassirer jüdischer Herkunft war und ab 1932 von allen seinen Ämtern im Trabrennsport zurücktreten musste. Er war Vorsitzender der Obersten Behörde für Traberzucht- und Rennen gewesen, deren Büro sich in seinem Verlagshaus befand, Mitglied der staatlichen Traberzuchtkommission und selbstverständlich 1. Vorsitzender des Trabrennverein Mariendorf. Zwischen 1909 und 1919 standen die Traber aus dem Stall Klausner, so der Deckname seines Rennstalls, sieben Mal an der Spitze der gewinnreichsten Rennställe in Deutschland.

Bruno Cassirer war einer der Ersten gewesen, der amerikanisches Traberblut nach Deutschland importiert hat. So stammten seine Derby-Sieger von 1913 und 1914, Adbell Toddington und Morgenwind, aus der von ihm 1910 importierten Della Bell, und seine Derby-Sieger von 1915 und 1918, Pech und Peter I., hatten die Amerikanerin Petrosia zur Mutter. Später erwarb Bruno Cassirer unter Hilfe von Charlie Mills u.a. die amerikanischen Zuchtstuten Probable, Mutter von Probst (Derby-Sieger 1935), L.E.O., Mutter von Leo (Derby-Sieger 1938), Miss Neva, Mutter von Missouri (Derby-Sieger 1942) sowie die Hengste Colonel Bosworth, Guy Bacon und Walter Dear, letzteren gemeinsam mit Arthur Brümmer. Insgesamt achtmal gewann Bruno Cassirer das Matadoren-Rennen, die zu jener Zeit bedeutendste Meilenprüfung des  europäischen Kontinents.

Kurz nach seinem 60. Geburtstag wurde ausgerechnet ihm, dem untadeligen Sportsmann und Förderer des deutschen Trabrennsports, das Betreten "seiner" Mariendorfer Rennbahn durch die damaligen Machthaber verwehrt. Seine Zucht (zunächst Gestüt Damsbrück, ab 1931 Gestüt Lindenhof) "verkaufte" Bruno Cassirer 1938 - zwangsweise - an Charlie Mills, den langjährigen Trainer seiner Pferde, mit dem er offenbar ein Gentleman's Agreement abschloss. Sein Verlagshaus musste Bruno Cassirer 1938 aufgeben, als er, beinahe mit dem letzten Zug, nach England emigrierte, wo er 1941 verstarb. Den Verlust Mariendorfs, seines Gestüts, seiner Zuchtstutenherde und seiner Deckhengste hat Bruno Cassirer nie verwunden.

Bruno Cassirers Championate

1909: Besitzerchampionat

1911: Besitzerchampionat 

1913: Besitzerchampionat 

1914: Besitzerchampionat 

1915: Besitzerchampionat 

1918: Besitzerchampionat 

1919: Besitzerchampionat  - Züchterchampionat

In einem Brief an Max Tau, den Cheflektor des Bruno Cassirer-Verlags, beschrieb Bruno Cassirer handschriftlich seine Gefühle nach seiner Emigration:

"Sie können sich gewiss von der Vereinsamung, in der ich lebe, keinen Begriff machen. So dankbar ich für vieles sein müsste, so ist mir doch vom Lebensnotwendigen zu viel genommen. Es ist, als ob von den Wurzeln zu viel abgeschlagen ist, so dass der Zustrom an Lebenskraft unterbunden ist. Sähen Sie mich jetzt in einem ruhigen Zimmer eines alten kleinen Hauses am Schreibtisch, mit schönen Lithographien an den Wänden, würde ich Ihnen erzählen, dass ich Neues plane, dass nichts hier mich hindert, dass auch hier viel von dem, was mir gelungen ist, bekannt geworden ist, und dass meine Pläne hier warmes Verständnis finden, dann fänden Sie mich sicher undankbar. Und doch bin ich sehr unglücklich. Ich habe noch nicht gelernt, mich zu bescheiden.

Ich habe leidenschaftlich gegeben und genossen, es war mir ein unaufhörliches Strömen von Lebensenergien, ein Taumel des Geniessens aller Schönheiten des Lebens und der Umformung der Erlebnisse in den bescheidenen, mir gegebenen Grenzen... Ich kann leider nicht vergessen...

Und doch will ich nicht schwach werden, denn ich glaube, dass man mich noch gebrauchen wird. Ich habe immer an meinen guten Stern geglaubt, und so glaube ich auch jetzt daran, dass es mir noch einmal gelingen wird, das Leben nach meinen Wünschen zu meistern. Ich würde mich freuen, wieder von Ihnen zu hören. Mit vielen Grüssen! Ihr Max!

Ja, Bruno Cassirer unterschrieb nicht mit seinem Namen, er schrieb in Gedanken, Ihr Max. Er konnte die Entwurzelung nicht überleben. Es ist schwer Emigrant zu sein...