Kurt Bading
Kurt Bading hat 1954 im STARTER den Prozess des Wiederaufbaus in aller Ausführlichkeit beschrieben. Seine Memoiren, ein eindrucksvolles Zeitdokument, an dieser Stelle in voller Länge wiederzugeben, würde den zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen. Der Mut und die Umstände, mit welchen Leute eines Schlages wie Kurt Bading damals zu kämpfen hatten, sind bewundernswert.
“Am Anfang waren weder Tat noch Plan,” berichtet Kurt Bading über den 2. Mai 1945, den ersten Tag der Waffenruhe im Kampf um das zertrümmerte Berlin. Kurt Bading schildert in seinem Bericht zunächst das Leiden der wenigen Pferde, die noch nicht beschlagnahmt oder geschlachtet und ohne Futter und Pflege zum Teil sich selbst überlassen waren. “Die Rennbahn Mariendorf hatte in den letzten Tagen des Kampfes noch mehr als 100 Pferde in ihren Boxen beherbergt. Futter hatte es allerdings schon seit Wochen keines mehr gegeben. Ausgebomte oder von ihren Wohnungen abgeschnittene Stallleute hatten in den letzten Kriegstagen hier mit ausgeharrt und die darbenden Kreaturen wenigstens getränkt.” 45 Pferde waren es, die Kurt Bading Anfang Mai 1945 in Mariendorfer Boxen vorfand.
Kurt Bading schildert weiter, unter welch heutzutage kaum vorstellbaren Schwierigkeiten er, gemeinsam mit dem Weißenseer Bäckermeister Paul Holz, bis zum russischen Stadtkommandanten General Nikolai Bersarin vorgedrungen war, um den General davon zu überzeugen, den Rennbetrieb in Berlin wiederaufzunehmen. Kurt Bading hatte das Interesse des Stadtkommandanten mit dem Argument erwecken können, dass aus den Abgaben der Totalisator-Steuer Gelder für den Wiederaufbau Berlins zu erarbeiten sei. Am Ende wurde Kurt Bading von der Stadtkommandatur mit einem Schreiben ausgestattet, das den kurzen aber inhaltsschweren Text auswies: “Kurt Bading ist Direktor aller Berliner Rennbahnen. Ihm untersteht alles dort lebende und tote Material, mit dessen Sicherstellung er von der Kommandatur verantwortlich betraut ist.” Der Wiederaufbau des Berliner Trabrennsports konnte in Angriff genommen werden, aber die Hindernisse bis zum Ertönen der ersten Startglocke schienen fast unüberwindlich.
In den ersten Tagen besaß die Organisation von Futterrationen und die Abwehr von Beschlagnahmungen ein besonderes Gewicht. “Obwohl uns inzwischen bekanntgeworden war, dass ungefähr 20 Traber in gutem Futterzustand sich in Stadtställen befanden und für den Fall, dass tatsächlich Rennen stattfinden sollten, sofort verfügbar wären, einigten wir uns, als frühesten Termin einer Mariendorfer Rennveranstaltung den 1. September anzusehen,” berichtet Kurt Bading. Doch dann kam in den ersten Junitagen plötzlich alles anders. Der russische Stadtkommandant befahl, mit Pferden und Personal nach Hoppegarten umzusiedeln und die dortige Rennbahn für eine möglichst schnelle Jungfern-Veranstaltung herzurichten. Kurt Bading widersprach diesem Befehl unter Hinweis auf die verkehrstechnisch zur Zeit völlig abwegige Lage Hoppegartens.
“Der General hörte meinen Bericht und erklärte mir dann, dass Mariendorf auf jeden Fall geräumt würde, da ihm inzwischen die Sektoren-Aufteilungen bekannt seien. Die mit russischer Unterstützung eingeleiteten Bestrebungen um Wiederaufnahme eines Berliner Rennbetriebs mit Pferden, auf deren Beschlagnahmung die Rote Armee großzügig verzichtet hätte, könnten nur in unter russischer Kontrolle stehenden Berliner Bezirken erfolgreich zu Ende geführt werden.” Als Alternative zu Hoppegarten wurde die Hindernisrennbahn Karlshorst genannt, das damals als Flugplatz genutzt war. Mehrere russische Transportkommandos mit rund 200 Lastwagen waren hier untergestellt.
Die Rennbahn Karlshorst präsentierte sich zu diesem Zeitpunkt in einem schlimmen Zustand. Alles was nicht niet- und nagelfest war, war gestohlen worden. Vor der Haupttribüne türmten sich Müllberge, der Innenraum diente als Kuhstall. “In einer Unterredung wurde der Termin regelrecht ausgehandelt und schließlich auf den 1. Juli festgesetzt. Mir blieben also rund 14 Tage für Organisations- und Arbeitsleistungen, an deren Bewältigung ich kaum glauben konnte.”
Unter Hilfe der örtlichen Stadtkommandeure und der Arbeitsämter Karlshorst und Lichtenberg wurden in den nächsten Tagen hunderte von Berliner für Aufräumarbeiten abgestellt. Nach rund einer Arbeitswoche war das halbe Terrain einschließlich der Zuschauerplätze gesäubert, die andere Hälfte diente weiterhin militärischen Zwecken als Flugplatz. Die Pferde aus Mariendorf kamen im Treck über vorher festgelegte passierbare Berliner Straßenzüge.
Aber Kurt Bading hatte nicht nur mit der Organisation von Futterrationen und der Abwehr von Beschlagnahmungen zu tun, sondern auch mit der Beschaffung von Arbeitskräften, Totalisator-Personal und dem technischen Renntagsdienst. Größte Schwierigkeiten bereitete das Personalengagement unter Berücksichtigung der politischen Nichtbelastung. Auf ausdrücklichen Wunsch der Zentral-Kommandantur musste am Premierentag eine gastronomische Betreuung der Besucher gewährleistet sein. Die Probleme, einen geeigneten Gastronomen in der Eile zu finden, der über das zahlenmäßig vorgeschriebene Inventar von 500 Gläsern, 500 Tassen, 500 Teller, Messer, Gabeln, Löffel usw. Verfügte und die Gestellung eines Buffets sorgen konnte, waren immens. “Schließlich fand ich einen Gastwirt aus dem Traberlager, der meine Vertragsbedingungen teilweise erfüllte und mit aus Mariendorf ausgeliehenen Tischen und Stühlen den gastronomischen Betrieb pünktlich übernehmen konnte.”
Damit aber nicht genug, nun sah sich Kurt Bading der Behördenwillkür und der ablehnenden Haltung von Teilen der extrem links eingestellten Presse konfrontiert, die Pferderennen als Feudalsport ablehnten oder zu diesem Zeitpunkt als überflüssig bezeichneten. “Von der Rennbahn zitierte mich um die Sonnabend-Mittagzeit eine Nachricht ins Büro, wo ein Beamter des Finanzamtes mich erwarten sollte. Ich hielt das zunächst für einen Witz, denn mit einer Wiedereinrichtung derartiger Verwaltungsstellen hatte ich nicht gerechnet. Tatsächlich war aber ein Steuer-Außendienstler zur Stelle, der mir ein Schreiben mit folgendem Text übergab: ‘Ich habe erfahren, dass Sie auf der Rennbahn Karlshorst am 1. Juli 1945 und zunächst an den folgenden Sonntatgen Trabrennen mit Totalisatorbetrieb veranstalten. Ich bitte Sie als Unternehmer des Totalisators und als Steuerschuldner, die von den gewetteten Beträgen fällige Rennwettsteuer von 16 2/3 v. Hundert an die Finanzkasse innerhalb einer Woche nach Ablauf eines jeden halben Kalendermonats zu entrichten. Gleichzeitig bitte ich für Steueraufsichtszwecke um Überlassung von vier Dauereintrittskarten, notfalls um vier Bescheinigungen zum Zutritt zu allen Plätzen der Rennbahn’.”
Kurt Bading war entsetzt, war er doch mit dem russischen Stadtkommandanten und den Bezirksämtern in Karlshorst und Lichtenberg übereingekommen, eine Rennwettsteuer von lediglich 10 Prozent zu veranschlagen und diese im Verhältnis 50:50 aufzuteilen. Die Beziksämter sollten außerdem an 30 Prozent der Entrees beteiligt werden. Die Bezirksämter zeigten sich mit dieser Regelung höchst zufrieden und wurden eifrige Verbündete gegen das Finanzamt. Nach sechs Rennveranstaltungen wurde ein Kompromiss gefunden, die Rennwettsteuer auf 16 2/3 v. Hundert angehoben mit einer Aufteilung 52:48 für das Finanzamt. Kurt Bading musste froh sein, dass das Finanzamt auf Regressforderungen an den Rennverein oder ihn als Geschäftsführer verzichtete.
Am 30. Juni, einen Tag vor der Rennbahnpremiere, trat ein Vertreter des Rennvereins für Hindernissport Karlshorst an Kurt Bading heran, um einen Pacht- und Leihvertrag für die Benutzung der Rennbahn und ihrer technischen Anlagen abzuschliessen. Auch dieses Ansinnen konnte Kurt Bading mit guten Argumenten entkräften, bevor der Premierentag mit großem Erfolg über die Bühne ging.
“Bereits drei Stunden vor Veranstaltungsbeginn begehrten rund 5.000 Menschen an den noch geschlossenen Kassen um Einlass. Als sich um 14.45 Uhr im frischgesprengten, blumengeschmückten Führring die Starter zum ersten Rennen sammelten, erreichte die allgemeine Begeisterung ihren Höhepunkt. Mit fast einstündiger Verspätung fand die Premiere um 19 Uhr ihr Ende. Der Erfolg war überwältigend. Mehr als 30.000 Besucher wurden gezählt, neben den Entrees ein Totalisatorumsatz von 1.166.900 Reichsmark erreicht. Die ausgesetzten Rennpreise von 33.000 Reichsmark konnten ebenso wie die rückständigen Löhne und Gehälter für das jetzt fest engagierte Karlshorster Personal gezahlt werden.”
Kurt Bading sah sich in den kommenden Monaten immer mehr einer Behördenwillkür ausgesetzt, die dem Rennsport auf Dauer Schaden anrichtete. “Die in Karlshorst gezahlten Rennpreise waren ständig rotes Tuch für beinahe alle in Berlin wieder eingerichteten Verwaltungsstellen. Hier sah man in der Rennbahn, für deren Nachkriegsaufbau von staatlicher Seite nichts getan worden war, lediglich die Milchkuh, über deren Abgaben die vordringlichsten Aufgaben des kommunalen Lebens finanziert wurden. Es hatten sich weise Stadtväter zusammengefunden, um die Rennbahn Karlshorst als zunächst einzigen und für viele Monate größten Steuerzahler Berlins verstärkt anzuzapfen. Die Rennwettsteuer sollte zunächst auf 30 Prozent erhöht werden, erst nach heftigen Protesten Kurt Badings war man seitens der Verwaltung bereit, einen Kompromiss von 25 Prozent mit einem Verteilungsschlüssel von 17:8 (Verwaltung:Rennbahn) zu akzeptieren. Der Stadtkämmerer rechnete vor, dass der Besitzer nur eines Pferdes, das im Jahr nur ein Rennen gewänne, die volle Unterhaltung des Pferdes aus dem Siegpreis bestreiten könne unn für sich mehr übrig behalte, als ein Stadtkämmerer an Jahresgehalt bezöge.”
Kurt Bading war nicht so vermessen anzunehmen, dass es ohne seinen Einsatz heute keinen Trabrennsport in Deutschand gäbe. Die Zeit heilt alle Wunden und schleift auch Widerstände. Dass aber zunächst in Karlshorst, dann in Hoppegarten und Mariendorf, schließlich auch im lange rennlosen Westen wieder Trabrennen mit Totalisatorbetrieb durchgeführt werden konnten, wurde durch das Karlshorster Beispiel gefördert und beschleunigt.
Hervorzuheben ist, dass Kurt Bading auch glücklicher Besitzer des ersten Siegers im Deutschen Traber-Derby nach dem Krieg war. Als seine Stute Sichel in der Hand von J. Piotrowski am 23. Juni triumphierte, hatte sie nur neun Wochen zuvor einem Fohlen das Leben geschenkt. Ein Unikum in der Historie des Trabrennsports weltweit. Kurt Bading starb 1989 im 84. Lebensjahr, nachdem er noch viele Jahre für den STARTER über den ostdeutschen Rennsport und die Züchter berichtet hatte.